Liebe Kolleginnen und Kollegen,sehr geehrte Damen und Herren, |
in unserer Rubrik „Ein-Blick“ erläutern wir eine Entscheidung des BAG zu der Frage, ob durch eine Betriebsvereinbarung ein Bonusanspruch vollständig ausgeschlossen werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis vor Abschluss des Geschäftsjahres endet.
Ein weiteres Thema im Newsletter ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Fragen der Lohngestaltung. Konkret geht es um die Frage, ob und inwieweit nicht tarifgebundene Arbeitgeber bei Änderung der Vergütungsstruktur die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen haben. Was das BAG dazu sagt und welche Auswirkungen das für die Betriebsratsarbeit hat, stellen wir in der Rubrik „Betriebsräte“ dar.
In der Rubrik „Arbeitnehmer“ behandeln wir eine weitere praxisrelevante Entscheidung des BAG zu Urlaubsabgeltungsansprüchen nach Elternzeit und die Kürzungsmöglichkeit des Arbeitgebers.
In der Rubrik „Kurzüberblick“ haben wir aktuelle Rechtsprechung aus dem individuellen und kollektiven Arbeitsrecht zusammengestellt.
Wir bitten darum, für das Jahr 2025 folgende Termine vorzumerken:
22. Mai 2025 Kanzleigespräch in Frankfurt 18. September 2025 Kanzleigespräch in Berlin
Weitere Informationen, insbesondere zu den Schwerpunktthemen der Veranstaltungen, erfolgen in einer gesonderten Einladung.
Die Spenden unserer fünf Standorte gehen dieses Jahr an die Altstadt-Armenküche in Düsseldorf, an die Berliner Krebsgesellschaft e. V., an das fem-mädchenhaus in Frankfurt, an Lichtblick e. V. Oldenburg und von München an die Haiti Hilfe Erkrath. Darüber hinaus spenden wir – wie jedes Jahr – auf Grundlage unseres CO2-Verbrauchs an atmosfair.
Wir bedanken uns für die erfolgreiche Zusammenarbeit, wünschen eine schöne Adventszeit sowie ein geruhsames Weihnachtsfest und ein glückliches Jahr 2025.
Eure/Ihre schwegler rechtsanwälte
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Zur Unwirksamkeit einer Stichtagsregelung in einer Betriebsvereinbarung und einer unwirksamen Ermessensvorbehalts- und Freiwilligkeitsregelung in einem Arbeitsvertrag lesen ➔ |
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Änderung einer Gesamtzusage über Urlaubsgeld nur unter Beteiligung des Betriebsrates lesen ➔ |
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Kurzüberblick über Entscheidungen
Briefwahl wegen Homeoffice und Kurzarbeit ohne Antrag der Arbeitnehmer möglich
Kein Anspruch auf Zeitgutschrift für während des Erholungsurlaubs wahrgenommene Betriebsratsaufgaben
Verbot der nachteiligen Auswirkung der Betriebsratstätigkeit auf das Entgelt
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Nachträgliche Kürzung des Urlaubsanspruchs während der Elternzeit? lesen ➔ |
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Kurzüberblick über Entscheidungen
Zugang einer Kündigung durch Einwurf-Einschreiben
Befristung zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers – Vertreter arbeitsunfähig erkrankt
„Erste Führungserfahrung“ in einer Stellenausschreibung – kein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters
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Ein-Blick |
Zur Unwirksamkeit einer Stichtagsregelung in einer Betriebsvereinbarung und einer unwirksamen Ermessensvorbehalts- und Freiwilligkeitsregelung in einem Arbeitsvertrag |
BAG, Urteil vom 15.11.2023 – 10 AZR 288/22
Können Betriebsrat und Arbeitgeber entstandene Ansprüche auf Arbeitsentgelt für bereits erbrachte Arbeitsleistung in einer Betriebsvereinbarung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig machen? Nein, eine solche Stichtagsregelung – auch in einer Betriebsvereinbarung – ist unwirksam. Dies entschied jetzt das BAG.
Rechtliche Einordnung
Gemäß § 611a Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber zur Erbringung der vereinbarten Gegenleistung verpflichtet, wenn der vorleistungspflichtige Arbeitnehmer die ihm obliegende Arbeitsleistung erbracht hat. Dies betrifft grundsätzlich auch variable Vergütungsbestandteile. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11, § 88 BetrVG können auch die Betriebsparteien Regelungen zur Vergütungsgestaltung treffen. Das BAG setzt sich in seiner Entscheidung mit dem Verhältnis individualrechtlicher und kollektivrechtlicher Regelungen zur Vergütungsgestaltung sowie den Grenzen der Gestaltungsfreiheit in Arbeitsverträgen und Betriebsvereinbarungen auseinander.
Der Sachverhalt
Die Parteien haben um einen Bonusanspruch gestritten. Der Arbeitsvertrag des bei der Beklagten angestellten Klägers regelte in „§ 4 Vergütung (…) Du erhältst eine variable Vergütung „PSP“ in Form eines (…) leistungsabhängigen Zielbonus von 15 % des Bruttobasisjahres, der im freien Ermessen von N (Arbeitgeber) steht und jederzeit geändert oder ergänzt werden kann. (…) Die genauen Bestimmungen dieser PSP-Bonusregelung sind als Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Diese Sonderzahlung (…) erfolgt stets freiwillig. Auch durch mehrmalige Zahlungen in gleicher Höhe wird ein Rechtsanspruch für die Zukunft weder dem Grunde noch der Höhe nach begründet.“
In der zuletzt geltenden Betriebsvereinbarung zur PSP-Bonusregelung (BV PSP) hieß es: „Grundlage der Erfolgsbeteiligung ist neuerdings im Wesentlichen der globale finanzielle Erfolg der N, Inc. (…). Die Zielerreichung basiert auf dem globalen Finanzerfolg der N, Inc. (…). Mitarbeiter, die aufgrund einer Eigenkündigung aus dem Angestelltenverhältnis ausscheiden, haben ebenfalls keinen – auch nicht zeitanteiligen – Anspruch auf einen PSP–Bonus.“
Vom 02.09.2019 bis 01.10.2019 und vom 11.11.2019 bis 10.12.2019 befand sich der Kläger in Elternzeit. Er kündigte sein Arbeitsverhältnis danach ordentlich zum 30.04.2020. Der Kläger verfolgte seinen Bonusanspruch aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. mit der jeweils geltenden Betriebsvereinbarung. Der Kläger machte geltend, der Anspruchsausschluss im Fall einer Eigenkündigung sei unwirksam, weil die Stichtagsregelung in der Betriebsvereinbarung gegen höherrangiges Recht verstoße. Die beklagte Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, die Betriebsvereinbarung PSP verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Nach der geltenden Betriebsvereinbarung kommt es nur auf den wirtschaftlichen Erfolg der N–Gruppe an, es sei daher nicht zum Entzug von leistungsabhängiger Vergütung gekommen. Mit dem Bonus werde insoweit leistungsunabhängig die Betriebstreue, nicht aber die Arbeitsleistung honoriert. Daher sei die Stichtagsklausel wirksam.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der Klage teilweise stattgegeben. Mit der Revision verfolgte der Kläger den Bonusanspruch in voller Höhe weiter, wobei er die Bruttojahresvergütung einschließlich der Ruhendzeiten während der Elternzeit als Berechnungsgrundlage für den Bonusanspruch heranzog. Die Beklagte hat in ihrer Revision weiterhin die Auffassung vertreten, dass der Anspruch wegen der Stichtagsregelung bereits im Grunde danach nicht besteht.
Die Entscheidung
Das BAG hat die Revision beider Parteien zurückgewiesen. Das BAG stellte fest, dass der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Bonuszahlung aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. mit der BV PSP habe. Die vertragliche Regelung, nach der der Arbeitgeber freies Ermessen habe und der Bonus jederzeit geändert oder ergänzt werden könne, sei unwirksam. Die Regelung eines freien Ermessens bei der Gewährung des Bonus verstoße wegen der fehlenden Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle der Leistungsbestimmung gegen § 315 Abs. 1 BGB und stelle damit eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers gemäß § 307 Abs. 1 BGB dar.
Auch der Freiwilligkeitsvorbehalt sei gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Der Freiwilligkeitsvorbehalt stelle nicht auf die Entstehung des Anspruchs ab. Der Freiwilligkeitsvorbehalt sei daher mit dem Vorrang späterer Individualabreden nicht zu vereinbaren und benachteilige den Kläger daher unangemessen. Schließlich sei die Klausel intransparent, weil der Freiwilligkeitsvorbehalt im Widerspruch zum Wortlaut des Vertrages stehe, die einen Anspruch auf einen Bonus vermittelt. Die Klausel sei daher nicht klar und verständlich, § 307 BGB. Gemäß § 306 Abs. 1 BGB falle die unwirksame Regelung ersatzlos weg, der Vertrag im Übrigen bleibe bestehen.
Das BAG hat aber festgestellt, dass die BV PSP entgegen der Ansicht des Klägers nicht insgesamt unwirksam ist. Den Betriebsparteien stehe innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen der §§ 77 Abs. 3, 75 BetrVG eine umfassende Regelungskompetenz zu, insbesondere hinsichtlich der Lohngestaltung. Die Betriebsvereinbarung sei auch nicht deswegen unwirksam, weil sie zum Anspruchsverlust bei einer Eigenkündigung führe. Die Unwirksamkeit einzelner Regelungen einer Betriebsvereinbarung führe entsprechend dem Rechtsgedanken des § 139 BGB nur zur teilweisen Unwirksamkeit, wenn der verbleibende Teil der Betriebsvereinbarung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthalte.
Die Stichtagsregelung in Form des Anspruchsverlust es bei einer Eigenkündigung sei jedoch unwirksam. Die Betriebsparteien unterlägen – anders als bei Arbeitsverträgen – zwar nicht der AGB-Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB. Die Betriebsparteien seien beim Abschluss von Vereinbarungen jedoch gemäß § 75 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BetrVG an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden. Entstandene Ansprüche auf Arbeitsentgelt für eine bereits erbrachte Arbeitsleistung könnten von den Betriebsparteien regelmäßig nicht unter die auflösende Bedingung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses am Ende des Bezugszeitraums gestellt werden. Diese Stichtagsregelung stehe im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611a Abs. 2 BGB, weil sie dem Arbeitnehmer seinen bereits erarbeiteten Lohn entziehe. Dabei sei unerheblich, ob der Vergütungsanspruch monatlich entstehe, an einen längeren Abrechnungszeitraum gebunden sei oder von einem bestimmten individuellen Leistungserfolg abhängig sei. Denn auch Leistungen, die an den Unternehmenserfolg geknüpft sind (wie zum Beispiel Tantiemen, Gewinnbeteiligungen) würden regelmäßig als zusätzliche Vergütung für eine erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gezahlt. Zudem erschwere die Stichtagsregelung dem Arbeitnehmer die Ausübung des Kündigungsrechts unangemessen.
Bei der Berechnung des Bonus seien aber nur die Zeiten zu berücksichtigen, während derer die Arbeitsleistung erbracht wurde oder für die ein Anspruch auf Entgeltersatzleistung bestand. Die Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus waren daher aus der Berechnungsgrundlage zum Bonus herauszunehmen – wie zulässigerweise in der BV PSP geregelt.
Fazit für Arbeitnehmer
Gerade bei variablen Lohnbestandteilen sind Stichtagsregelungen bezogen auf ein gekündigtes oder aufgehobenes Arbeitsverhältnis üblich. Arbeitnehmern ist insoweit zu raten, die Formulierungen des Arbeitsvertrages oder einschlägiger Betriebsvereinbarungen genau auf deren Wirksamkeit zu prüfen. Auch von der individuellen Leistung unabhängige Vergütungsansprüche können nicht ohne Weiteres zu einer sog. Treueprämie umgedeutet werden, deren Anspruch grundsätzlich vom weiteren Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werden kann. Arbeitnehmer sollten daher klären lassen, ob ein Vergütungsbestandteil tatsächlich eine reine Treueprämie darstellt, wenn der Arbeitgeber sich auf eine Stichtagsregelung in einer Betriebsvereinbarung beruft.
Handlungsempfehlung für Betriebsräte
Das BAG verweist auf die umfassende Regelungskompetenz der Betriebsparteien in Vergütungsangelegenheiten. Zu beachten ist aber, dass Stichtagsregelungen nicht zur zwingenden Mitbestimmung gehören, weder gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 noch gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Auch wenn Betriebsvereinbarungen nicht der AGB-Kontrolle unterliegen, müssen Betriebsparteien die Grundsätze von Recht und Billigkeit gemäß § 75 Abs. 1, 2 Satz 1 BetrVG beachten. Betriebsräte sollten sich nicht voreilig den Interessen des Arbeitgebers hingeben und das Argument einer rechtstreuen Regelung zu Gunsten der Arbeitnehmer nutzen.
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Betriebsräte |
Änderung einer Gesamtzusage über Urlaubsgeld nur unter Beteiligung des Betriebsrates |
BAG, Urteil vom 21.02.2024 – 10 AZR 345/22
Ändert der Arbeitgeber die im Betrieb bestehenden Entlohnungsgrundsätze unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, können die betroffenen Arbeitnehmer in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine Vergütung auf Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern.
I. Sachverhalt
Die Arbeitgeberin zahlte ihren Arbeitnehmern seit Mitte der 1990er Jahre jährlich ein Urlaubsgeld. Seit dem Jahr 2013 bestand bei der Arbeitgeberin ein Betriebsrat. In den Jahren von 2008 bis 2013 versandte die Arbeitgeberin jährlich ein Schreiben, das den Titel „Infos aus der Personalabteilung“ und „Urlaubsgeld (des jeweiligen Jahres) – Zahlung in voller Höhe, entsprechend den Urlaubsgeldregelungen“ trug. Das Schreiben regelte u. a. die Höhe des Urlaubsgeldes nach Betriebszugehörigkeit und Stichtagsklauseln. Das Schreiben enthielt zudem den Hinweis, dass das Urlaubsgeld eine „einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung der Arbeitgeberin“ sei. Ab dem Jahr 2014 versandte die Arbeitgeberin inhaltlich leicht abweichende Schreiben. Die Höhe des jeweiligen Urlaubsgeldes wurde von der Arbeitgeberin sodann jedes Jahr neu entschieden und festgelegt. Im Jahr 2020 entschied die Arbeitgeberin, das Urlaubsgeld gänzlich auszusetzen. Der Betriebsrat wurde zu keinem Zeitpunkt von der Arbeitgeberin beteiligt. Vor dem Arbeitsgericht Paderborn klagten drei Arbeitnehmer erfolgreich auf Zahlung des Urlaubsgeldes für das Jahr 2020. In der zweiten Instanz vor dem LAG Hamm wurden die Klagen abgewiesen.
II. Entscheidung
Das BAG entschied, dass den Arbeitnehmern ein Anspruch auf Urlaubsgeld für das Jahr 2020 aus der Gesamtzusage der Arbeitgeberin aus dem Jahr 2008 zustehe.
Die Höhe des Urlaubsgeldes setzte das BAG auf den maximal nach der Gesamtzusage aus dem Jahr 2008 möglichen Betrag fest.
III. Rechtliche Bewertung
Das BAG legte das Schreiben aus dem Jahr 2008 aus. Nach Auslegung beinhalte es eine Gesamtzusage und gewähre allein Arbeitnehmern einen Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgeldes, die am 01. Juni eines jeden Jahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Dieser Anspruch auf Urlaubsgeld sei nicht auf das Jahr 2008 beschränkt, sondern werde jährlich gezahlt. Über die Höhe habe die Arbeitgeberin jährlich nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu entscheiden. Auch Arbeitnehmer, die nachträglich in den Betrieb der Arbeitgeberin eintraten, erwarben somit aus der Gesamtzusage einen Anspruch auf Urlaubsgeld.
Fraglich war nun, ob die Arbeitgeberin die Gesamtzusage durch die ab den Jahren 2014 versandten und inhaltlich angepassten Schreiben abänderte. Diese nachträgliche Abänderung zum Nachteil der Arbeitnehmer verneint das BAG. Die Anpassung der Grundsätze zum Urlaubsgeld fällt unter die Entlohnungsgrundsätze i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Eine wirksame Änderung eben dieser Entlohnungsgrundsätze hätte die Beteiligung des Betriebsrates erfordert. Denn der Betriebsrat hat danach insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung mitzubestimmen. Es sei unbeachtlich, dass der Betriebsrat bei der ursprünglichen Einführung des Urlaubsgeldes im Jahr 2008 nicht zugestimmt habe, da er zu dem Zeitpunkt – mangels Bestehens – gar nicht hätte zustimmen können. Auch eine nachträgliche Zustimmung sei insoweit nicht erforderlich. Ebenfalls führe die jahrelange widerspruchslose Hinnahme der Änderung der Grundsätze zum Urlaubsgeld durch den Betriebsrat nicht zu einer Ausübung der Mitbestimmungsrechte.
Vor diesem Hintergrund wandte das BAG wegen des Verstoßes gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung an. Werden Entlohnungsgrundsätze ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts abgeändert, könnten demzufolge Arbeitnehmer eine Vergütung auf Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Dies war vorliegend die Gesamtzusage aus dem Jahr 2008, da diese bei der Arbeitgeberin noch mitbestimmungsgemäß ohne den Betriebsrat eingeführt wurde.
IV. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nach der Rechtsprechung des BAG weit zu verstehen ist und vor allem bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern eine wesentliche Rolle spielt. Besteht ein Betriebsrat und will der Arbeitgeber eine Gesamtzusage abändern, muss er bei Zahlungen wie dem Urlaubs- oder Weihnachtsgeld das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG beachten. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber benötigen daher bei jeder Änderung der Vergütungsstruktur die Zustimmung des Betriebsrates.
Des Weiteren zeigt die Entscheidung deutlich die Folgen einer unterbliebenen Beteiligung des Betriebsrats auf und stellt zudem klar, dass eine bloße „Hinnahme“ in der Regel keine Erklärung des Betriebsrats bzw. Ausübung der Mitbestimmungsrechte darstellt.
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Betriebsräte |
Briefwahl wegen Homeoffice und Kurzarbeit ohne Antrag der Arbeitnehmer möglich BAG, Beschluss vom 23.10.2024 – 7 ABR 34/23
Für die Wahl des Betriebsrats kann der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmern, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden.
Die Fälle einer zulässigen Briefwahl sind in der Wahlordnung (WO) abschließend geregelt. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO erhalten die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe – ohne dies zu verlangen – diejenigen Wahlberechtigten, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Hierunter fallen u. a. Arbeitnehmer, die während der Wahl wegen vorübergehend ausgeübter mobiler Arbeit und wegen Kurzarbeit betriebsabwesend sind.
Kein Anspruch auf Zeitgutschrift für während des Erholungsurlaubs wahrgenommene Betriebsratsaufgaben LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.06.2024 – 5 Sa 255/23
Ein Anspruch auf Zeitgutschrift für Betriebsratstätigkeiten, die ein Betriebsratsmitglied in seinem Erholungsurlaub ausgeübt hat, folgt nicht aus § 37 Abs. 2 BetrVG. Zwar sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats nach dieser Vorschrift zur Durchführung erforderlicher Betriebsratstätigkeit ohne Entgeltminderung von der Arbeitsleistung zu befreien; während des Erholungsurlaubs besteht jedoch gerade keine Pflicht zur Arbeitsleistung.
Ein derartiger Anspruch ergibt sich grundsätzlich auch nicht aus § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG, weil regelmäßig keine „betriebsbedingten Gründe“ im Sinne dieser Vorschrift angenommen werden können, wenn sich ein Betriebsratsmitglied entschließt, während seines Erholungsurlaubs Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen.
Schließlich ist eine zusätzliche Vergütung bzw. Stundengutschrift auf dem Arbeitszeitkonto für die Betriebsratstätigkeit während des bezahlten Erholungsurlaubs mit dem Ehrenamtsprinzip des § 37 Abs. 1 BetrVG und dem Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG unvereinbar.
Verbot der nachteiligen Auswirkung der Betriebsratstätigkeit auf das Entgelt LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.06.2024 – 8 Sa 687/23
Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich i. V. m. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. § 37 Abs. 4 BetrVG enthält insoweit also keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers.
Die Vorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG enthält ein an den Arbeitgeber gerichtetes allgemeines Verbot, ein Betriebsratsmitglied wegen der Amtstätigkeit in seiner beruflichen Entwicklung zu benachteiligen. Von dem Benachteiligungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen.
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Arbeitnehmer |
Nachträgliche Kürzung des Urlaubsanspruchs während der Elternzeit? |
BAG, Urteil vom 16.04.2024 – 9 AZR 165/23
I. Hinführung
Elternzeit ist von großer praktischer Bedeutung. Wenngleich Arbeitnehmerinnen nach wie vor wesentlich mehr Elternzeit in Anspruch nehmen, steigt die Popularität für Arbeitnehmer und damit auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Dafür sorgen auch gesetzliche Anreize: Ein Elternpaar erhält 14 statt zwölf Monate Elterngeld, wenn hiervon zwei auf den Kindsvater entfallen. Viel kritisiert wurden allerdings kürzlich die gesetzlichen Änderungen, die neben einer Jahresbruttoeinkommensgrenze i. H. v. 200.000 EUR (wird schrittweise abgesenkt auf 150.000 EUR) vorsehen, dass nur noch einer dieser insgesamt 14 Monate von den Eltern gemeinsam genommen werden kann. Umso wichtiger ist es, die rechtlichen Grundlagen zu kennen. In diesem Beitrag wird der Urlaubsanspruch näher beleuchtet.
II. Problemstellung
§ 17 Abs. 1 S. 1 BEEG sieht vor, dass der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen kann. Dazu muss man wissen, dass Elternzeit grundsätzlich monatsweise ab dem Tag des Geburtstags des Kindes genommen wird. Wird das Kind z. B. am 02.05. geboren und möchte bspw. der Vater einen Monat Elternzeit in Anspruch nehmen, läuft die Elternzeit vom 02.05. bis einschließlich zum 01.06. Hierfür kann der Arbeitgeber von seinem Recht zur Kürzung keinen Gebrauch machen, weil kein voller Kalendermonat vorliegt. Pech haben somit diejenigen Eltern, deren Kind am Monatsersten geboren wird.
Arbeitgeber müssen die Kürzung allerdings aktiv vornehmen. Andernfalls verbleibt es bei dem vollen Urlaubsanspruch. Das BAG hatte sich damit zu beschäftigten, bis wann der Arbeitgeber für den Ausspruch dieser Kürzung Zeit hat.
III. Sachverhalt
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung für 2015 bis 2020. Die Arbeitszeit der Klägerin verteilte sich auf fünf Wochentage und der Urlaubsanspruch betrug 29 Arbeitstage. Ab dem 24.08.2015 befand sich die Klägerin in Mutterschutz mit anschließender Elternzeit sowie – nach Geburt des zweiten Kindes – erneut in Mutterschutz und anschließender weiterer Elternzeit. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis zum Ablauf der Elternzeit am 25.11.2020. Die Beklagte hatte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erklärt, den auf die Elternzeit bezogenen Urlaub zu kürzen. Die Klägerin verlangt die Abgeltung des Resturlaubs von insgesamt 146 Arbeitstagen aus den Jahren 2015 bis 2020.
IV. Entscheidung
Nach Auffassung des BAG steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Abgeltung von 146 Urlaubstagen zu. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr genommen werden kann. Dies gilt gem. § 17 Abs. 3 BEEG auch nach Ende der Elternzeit. Die entstandenen Urlaubsansprüche verfallen auch nicht, das folgt aus § 17 Abs. 2 BEEG.
Möchte der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG kürzen, muss er dies nach dem BAG in dem bestehenden Arbeitsverhältnis tun. Das Recht kann nicht mehr ausgeübt werden, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.
V. Rechtliche Bewertung
Das BAG hält an seiner bisherigen Rechtsprechung, mit welcher es die Surrogatstheorie aufgegeben hat, fest (s. BAG, Urteil vom 19.05.2015 – 9 AZR 725/13). Danach muss der Arbeitgeber die Kürzungserklärung im bestehenden Arbeitsverhältnis abgeben. Tut er dies nicht, hat er kein Recht, den dann entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruch als Geldanspruch nachträglich zu kürzen.
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Arbeitnehmer |
Zugang einer Kündigung durch Einwurf-Einschreiben BAG, Urteil vom 20.06.2024 – 2 AZR 213/23
Das BAG hat sich im vorliegenden Fall dem BGH angeschlossen und entschieden, dass durch das Ablegen eines Einwurf-Einschreibens in den Briefkasten des Empfängers ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass der Brief noch an dem Tag zu den üblichen Postzustellzeiten zugegangen ist. Geklagt hatte eine Zahnärztin, die eine vierteljährliche Kündigungsfrist zum Quartalsende vereinbart hatte. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.09.2021 und gab das Schreiben als Einwurf-Einschreiben bei der Post auf. Aus dem Auslieferungsbeleg ergab sich, dass das Kündigungsschreiben am 30.09.2021 in den Briefkasten der Zahnärztin gelegt wurde. Diese bestritt den rechtzeitigen Zugang, weil mit einer Entnahme des Schreibens am selben Tag nicht gerechnet werden könne.
Das BAG wies die Klage auch in der letzten Instanz ab und entschied, dass es für den Entnahmezeitpunkt nicht auf die individuellen Verhältnisse ankommt. Es besteht ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein Einwurf-Einschreiben zu den üblichen Postzustellzeiten in den Briefkasten gelegt wurde, sodass in der Folge auch mit einer Entnahme an diesem Tag zu rechnen ist. Ein solcher Anscheinsbeweis, d. h. die Annahme eines typischen Geschehensablaufes, kann erschüttert werden. Hierzu müssen allerdings typische Umstände dargelegt werden, die einen abweichenden Geschehensablauf nahelegen.
Befristung zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers – Vertreter arbeitsunfähig erkrankt BAG, Urteil vom 12.06.2024 – 7 AZR 188/23
Wird ein Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers mit Sachgrund befristet eingestellt, so ist die Sachgrundbefristung unwirksam, wenn der Arbeitgeber bei Vertragsschluss wusste, dass der Mitarbeiter aufgrund eigener Arbeitsunfähigkeit seine Arbeitsleistung während der gesamten Vertragslaufzeit nicht erbringen kann. In diesem Fall wäre die Sachgrundbefristung nur vorgeschoben. Die Konsequenz wäre, dass der Arbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag hätte. Deckt eine bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allerdings nicht den vollständigen Zeitraum für die Vertretung ab, besteht zu diesem Zeitpunkt also voraussichtlich noch die Möglichkeit des Einsatzes des Vertreters, ist die Sachgrundbefristung wirksam. Der Arbeitgeber kann sich in diesem Fall auf die Angaben in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlassen.
„Erste Führungserfahrung“ in einer Stellenausschreibung – kein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters LAG Köln, Urteil vom 20.06.2024 – 6 Sa 632/23
Ein Bewerber machte einen Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung geltend, weil er auf seine Bewerbung eine Absage erhielt. Er sah in dem Text „erste Führungsverantwortung“ der Stellenausschreibung eine Altersdiskriminierung.
Das LAG wies die Klage ab. Es liegt nicht einmal ein Indiz für eine Altersdiskriminierung vor. Die Formulierung „erste Führungsverantwortung“ verweist nicht auf einen bestimmten Lebenszeitkorridor. Es kann eine 18-jährige Soldatin als Gruppenführerin erste Führungserfahrung haben oder ein 60-jähriger, der 40 Jahre Selbstständigkeit hinter sich hat und seit einem Jahr im Angestelltenverhältnis mit fünf Mitarbeitern tätig ist. Das Merkmal knüpft weder unmittelbar noch mittelbar an das Alter einer Person an.
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Veröffentlichungen |
Dr. Michael Bachner (Hrsg.), Peter Gerhardt, Hajo A. Köhler, Michael Merzhäuser, Dr. Alexander Metz, Simone Rohs, Anna-Lena Trümner, Katharina Warczinski
BetrVG für den Betriebsrat, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Bund Verlag, 5. aktualisierte Auflage 2024
https://shop.bund-verlag.de/betrvg-fuer-den-betriebsrat-978-3-7663-7417-2 |
Dr. Herbert Grimberg Fricke / Grimberg / Wolter, Betriebsverfassungsgesetz - Kurzkommentar für Betriebsräte Bund Verlag, 7. aktualisierte und neubearbeitete Auflage 2024
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Katharina Warczinski: OVG Koblenz: Eingruppierung einer pädagogischen Kita-Fachkraft, die Tätigkeiten eines Erziehers ausübt In: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2024, S. 153
LAG Sachsen: Anforderungen an die Höhergruppierung einer stellvertretenden Schulleiterin – Ämterdurchlauf entscheidend In: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2024, S. 215
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Katharina Warczinski und Elisa Leipold: Aktuelle Entwicklungen im Teilzeitrecht unter Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots aus § 4 I TzBfG In: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2024, S. 243
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Die Beiträge können über die Autoren unter ihrer E-Mail-Adresse angefordert werden. |
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Lorenz Schwegler* Felix Laumen* Yvonne Reinartz* Dr. Michael Schwegler* Dr. Alexander Metz, LL.M.*
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Peter Berg Dr. Herbert Grimberg Christian Mertens Stefan Dieker Simone Rohs
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Michael Merzhäuser* Heike Merzhäuser* Dr. Sascha Lerch* Dr. Lars Weinbrenner* Patrick Kessler* Sebastian Kolb
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Hans-Otto Umlandt Dario Dell’ Anna Katharina Warczinski Dr. Nicolai Culik Elisa Leipold Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin |
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Dr. Michael Bachner* Peter Gerhardt* Ariane Mandalka
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Hajo A. Köhler* Ralf Trümner* Jürgen Oehlmann Anna-Lena Trümner Kilian Lönneker |
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Dr. Michael Schwegler* (Zweigstelle) Michael Merzhäuser* (Zweigstelle) Dominik Heidinger |
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Wissenschaftliche Berater:
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Prof. Dr. Wolfgang Däubler Prof. Dr. Bernhard Nagel |
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