Ausgabe 1/2022

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren, 

aktuell finden seit dem 1. März bis zum 31. Mai 2022 die regelmäßigen Betriebsratswahlen statt. Weil sich durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz auch Änderungen in der Wahlordnung ergeben haben, stellt sich die Frage, was ist neu und zu beachten? Unter der Rubrik „Ein-Blick“ stellen wir deshalb die wichtigsten neuen Regelungen und Änderungen in der Wahlordnung vor.

Mit der Frage, ob der Einsatz von Mitarbeitern an einem 12 km entfernten Betriebsstandort eine mitbestimmungspflichtige Versetzung darstellt, wenn die Arbeitsaufgaben sich kaum ändern, hat sich das LAG Nürnberg beschäftigt und kam zu einem – von der bisherigen BAG-Rechtsprechung abweichenden – Ergebnis. Die praxisrelevante Entscheidung besprechen wir in der Rubrik „Betriebsräte“.

In der Rubrik „Arbeitnehmer“ befassen wir uns mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement, kurz bEM. Dieses ist als Teil betrieblicher Prävention ein wesentliches Instrument zur Sicherung des Arbeitsverhältnisses. Vor diesem Hintergrund hatte sich das BAG zuletzt mit zwei Fragen beschäftigt: Hat ein betroffener Arbeitnehmer einen Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM und muss der Arbeitgeber ihm dieses nach jeder Vollendung eines Sechs-Wochen-Zeitraums erneut anbieten? Wir stellen beide, auch für Betriebsräte interessante, BAG-Urteile und ihre Bedeutung für die Praxis vor.

Neben den oben genannten Entscheidungen haben wir weitere praxisrelevante Gerichtsentscheidungen zum Individual- wie auch zum Kollektivarbeitsrecht in Kurzform aufbereitet.

Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre des Newsletters und bleiben Sie gesund!

Eure/Ihre
schwegler rechtsanwälte

Inhalt

Ein-Blick

Betriebsratswahlen im Licht der neuen Wahlordnung
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Betriebsräte

Bei Versetzung an einen 12 km entfernten Arbeitsort ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich
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Betriebsräte

Kurzüberblick über Entscheidungen

  • Einordnung in eine neue tarifliche Vergütungsordnung ist Eingruppierung

  • Beschäftigung über tarifliche Altersgrenzen hinaus ist Einstellung

  • Keine Mitbestimmung bei Vergütung gemäß Mindestlohngesetz

  • Kein Folgenbeseitigungsanspruch bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts

  • Mitbestimmung ist unabhängig vom Willen der Belegschaft

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Arbeitnehmer

Kein Individualanspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM
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Arbeitnehmer

Kurzüberblick über Entscheidungen

  • Annahmeverzug des Arbeitgebers – zumutbare Einsatzmöglichkeiten

  • Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern bei tariflichen Leistungen

  • Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung – Herabgruppierung

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Veröffentlichungen

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Impressum

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Ein-Blick

Betriebsratswahlen im Licht der neuen Wahlordnung

I. Einleitung

Es ist wieder so weit. Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden im Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2022 statt. Der Gesetzgeber hat im Oktober letzten Jahres die Wahlvorschriften geändert, um eine einfachere Gründung von Betriebsräten zu ermöglichen. Die neue Wahlordnung macht es - auch für erfahrene Wahlvorstände - erforderlich, sich mit den Änderungen auseinanderzusetzen.

Wir zeigen, was die wichtigsten Änderungen sind!

 

II. Neue Wahlordnung

Die neue Wahlordnung enthält Regelungen, die Wahlvorständen bei ihrer Arbeit mehr Rechtssicherheit und eine gewisse Erleichterung geben sollen. Es war beispielsweise in der Vergangenheit nicht vorstellbar, dass Sitzungen des Wahlvorstands digital, also per Video- oder Telefonkonferenz stattfinden dürfen. Seit Beginn der Pandemie besteht hierfür jedoch ein ausgeprägtes Bedürfnis. Der Gesetzgeber hat mit Einführung der neuen Wahlordnung die Möglichkeit geschaffen, Sitzungen des Wahlvorstands digital stattfinden zu lassen. Dies hat die Arbeit der Wahlvorstände - gerade im Hinblick auf die Pandemie  erheblich erleichtert.


1. Sitzungen per Video- bzw. Telefonkonferenz

Der Gesetzgeber geht grundsätzlich immer noch davon aus, dass die Sitzungen des Wahlvorstands als Präsenzsitzung stattfinden. Unter bestimmten Bedingungen erlaubt das Gesetz jedoch eine Teilnahme mittels Video- oder Telefonkonferenz. Dies setzt voraus, dass der Wahlvorstand vorher einen entsprechenden Beschluss über die Möglichkeit der Durchführung einer Sitzung per Video- bzw. Telefonkonferenz gefasst hat. Es muss außerdem sichergestellt sein, dass Dritte von dem Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können und die Teilnehmer ihre Teilnahme in Textform, z.B. als E-Mail bestätigen.

Beachte:
Die Teilnahmebestätigung ist dem Sitzungsprotokoll beizufügen.

Achtung:
Handelt es sich

  • um Sitzungen im Rahmen einer Wahlversammlung nach § 14 a BetrVG (vereinfachtes Wahlverfahren),

  • sollen die eingereichten Wahlvorschläge überprüft werden oder

  • die Reihenfolge der Ordnungsnummern der Wahlvorschläge ausgelost werden,

muss zwingend eine Präsenssitzung stattfinden.

Die Wahlvorschläge enthalten zum einen die Bewerber zur BR-Wahl und zum anderen die Unterschriften der wahlberechtigten Arbeitnehmer, die diese Bewerber unterstützen. Aufgabe des Wahlvorstands ist es unter anderem zu überprüfen, ob die Kandidaten wählbar sind, genügend Unterschriften der Unterstützer vorliegen und sonstige rechtliche Vorrausetzungen erfüllt sind.

Liegt ein gültiger Wahlvorschlag vor, können die Ordnungsnummern ausgelost werden. Die Auslosung entscheidet darüber, in welcher Reihenfolge die Wahlvorschlagslisten auf dem Stimmzettel stehen werden. Eine Video- oder Telefonkonferenz ist in diesen Fällen nicht zulässig.

 

2. Fristen – Uhrzeit am letzten Tag einer Frist angeben

Die neue Wahlordnung sieht nun ausdrücklich vor, dass der Wahlvorstand mit dem letzten Tag einer Frist zusätzlich eine bestimmte Uhrzeit angeben darf, bis zu der Erklärungen ihm gegenüber abgegeben werden können. Dies betrifft z.B. die Einreichung von Wahlvorschlägen oder Einsprüchen gegen die Wählerliste. Voraussetzung ist, dass die im Wahlausschreiben angegebene Uhrzeit nicht vor dem Ende der Arbeitszeit der Mehrheit der Arbeitnehmer liegt.

Diese Regelung entsprach auch vorher schon der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das BAG hat diese Rechtsprechung in seinem Beschluss vom 28.04.2021 7 ABR 10/20 – also vor Einführung der neuen WO – nochmals bestätigt. Ist keine Uhrzeit im Wahlausschreiben für den letzten Tag der Abgabe der Wahlvorschläge genannt, konnten diese nach den Ausführungen des BAG auch nach der alten Rechtslage bis 24 Uhr beim Wahlvorstand abgegeben werden.

Ist der Wahlvorstand nicht bis 24 Uhr im Betrieb anwesend oder leert er seinen Briefkasten nicht um 24 Uhr, ist der Wahlvorschlag dem Vorstand auch dann rechtzeitig zugegangen, wenn dieser den Vorschlag erst am nächsten Tag tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass die Liste bis 24 Uhr eingereicht wurde.

Beachte:
Wahlvorschläge können bis zum Ablauf der im Wahlausschreiben angegebenen Uhrzeit oder – wenn diese fehlt – entsprechend bis 24 Uhr beim Wahlvorstand abgegeben werden.

 

3. Wählerliste am Wahltag korrigieren

Die Erstellung der Wählerliste gehört zu einer der wichtigsten Aufgaben des Wahlvorstands. Nur wer auf der Wählerliste steht, kann wählen und gewählt werden. Treten neue Arbeitnehmer in den Betrieb ein oder verlassen diesen, fragen sich viele Wahlvorstände, wie lange sie die Wählerliste korrigieren dürfen. Bislang konnte eine Berichtigung lediglich bis einen Tag vor der Wahl erfolgen. Das hat sich nunmehr geändert. Der Wahlvorstand muss die Wählerliste in den gesetzlich geregelten Fällen noch am Tag der Wahl berichtigen.


4. Einschränkung des Anfechtungsrechts

Der Gesetzgeber hat die im BetrVG geregelte Anfechtungsmöglichkeit der Wahl dahingehend angepasst, dass bestimmte Anfechtungsmöglichkeiten für die wahlberechtigten Arbeitnehmer und für den Arbeitgeber wegen Fehler in der Wählerliste ausgeschlossen werden.

Der Arbeitgeber kann die Wahl nicht auf der Grundlage einer fehlerhaften Wählerliste anfechten, wenn die Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht. Das Anfechtungsrecht des wahlberechtigten Arbeitnehmers besteht nur noch dann, wenn er vorher aus demselben Grund einen ordnungsgemäßen Einspruch gegen die Wählerliste eingereicht hat.

Beachte:
Das Wahlausschreiben muss den Hinweis auf diese Anfechtungsausschlussgründe enthalten.


5. Briefwahl

In welchen Fällen die Briefwahlunterlagen von Amts wegen, also ohne ein ausdrückliches Verlangen durch die Arbeitnehmer versendet werden müssen, ist für den Wahlvorstand nicht immer leicht zu beurteilen. Dies muss z.B. erfolgen, wenn dem Wahlvorstand bekannt ist, dass der Wahlberechtigte am Tag der Wahl aufgrund der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses nicht im Betrieb ist.

Neu gesetzlich geregelt ist zudem, dass wahlberechtigten Arbeitnehmern, die während des gesamten Wahlzeitraums – also vom Erlass des Wahlausschreibens bis zur Stimmabgabe – nicht im Betrieb sind, die Briefwahlunterlagen ebenfalls unaufgefordert zuzuleiten sind. Dies betrifft insbesondere die Fälle von ruhenden Arbeitsverhältnissen oder Arbeitsunfähigkeit, also z.B. Arbeitnehmer in Elternzeit, Mutterschutz oder Langzeiterkrankte.

Beachte:
Das Wahlausschreiben muss diesen Arbeitnehmern rechtzeitig zugesendet werden, damit diese die Möglichkeit haben, sich aktiv an der Wahl (z.B. als Wahlbewerber) zu beteiligen.

 

6. Stimmabgabe am Wahltag  keine Wahlumschläge 

Die Stimmabgabe durch den Wähler erfolgt bei der Urnenwahl durch Ankreuzen an der im Stimmzettel vorgesehenen Stelle. Anschließend muss der Stimmzettel in einer Art und Weise gefaltet werden, dass die Stimme des Wählers nicht erkennbar ist. Diese Regelung ist neu. Früher mussten die Stimmzettel in Wahlumschläge gesteckt werden. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass die Wahl geheim erfolgen konnte. Die Stimmauszählung war für den Wahlvorstand allerdings wesentlich umständlicher und dauerte länger. Wahlumschläge sind seit der letzten Änderung der Wahlordnung nun nur noch bei der Briefwahl zu verwenden.

Beachte:
Das BAG hatte noch im Januar 2021 entschieden, dass die Wahl anfechtbar ist, wenn Wahlumschläge bei der Wahl nicht verwendet werden (7 ABR 3/20). Mit der Änderung der Wahlordnung entspricht dies bei der Urnenwahl nun – unter Beachtung der bestimmten Falttechnik – sogar der gesetzlichen Regelung.

 

7. Auszählung der Stimmen - Zeitpunkt Öffnung Freiumschlag

Haben Arbeitnehmer ihre Stimme schriftlich – also per Briefwahl – abgegeben, müssen die Mitglieder des Wahlvorstands die eingegangenen Freiumschläge der Briefwähler öffnen, prüfen und – bei ordnungsgemäß erfolgter Stimmabgabe – nach Vermerk der Stimmabgabe in der Wählerliste in die Wahlurne werfen.

Beachte:
Freiumschläge sollen den Wahlumschlag und die separate Erklärung darüber, dass die Stimme höchstpersönlich abgegeben wurde, enthalten. Der Stimmzettel muss sich im Wahlumschlag befinden.

Bislang konnte es – insbesondere bei einer hohen Anzahl von Briefwählern – für den Wahlvorstand schwierig werden, den Zeitpunkt der Öffnung der Freiumschläge genau zu bestimmen. Die ursprüngliche Regelung sah vor, dass die oben genannten Schritte unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe erfolgen mussten. Die Wahlvorstandsmitglieder mussten sich also vorher Gedanken darüber machen, wieviel Zeit pro Öffnung eines Briefwahlumschlags benötigt wird.

Der Gesetzgeber hat den Zeitpunkt hierfür neu geregelt und diesbezügliche Unsicherheiten des Wahlvorstands beseitigt. Die Öffnung der rechtzeitig eingegangenen Freiumschläge ist auf den Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung festgelegt worden.

Beachte:
Ist der Zeitpunkt der öffentlichen Stimmauszählung z.B. auf 14 Uhr im Wahlausschreiben festgelegt, beginnt der Wahlvorstand erst um 14 Uhr mit der Öffnung der Freiumschläge. Er prüft, ob die persönliche Erklärung und der Wahlumschlag getrennt voneinander enthalten sind. Ist die Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt, wird die Stimmabgabe in der Wählerliste vermerkt und der gefaltete Stimmzettel in die Wahlurne geworfen. Erst wenn dieses Verfahren abgeschlossen ist, kann eine Auszählung der Stimmen erfolgen.

 

III. Anmerkung

Die Anpassung der Wahlordnung ist aufgrund der Einführung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes erforderlich geworden. Die betriebsverfassungsrechtlichen Neuregelungen im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes haben wir bereits in unserem Newsletter vorgestellt.

Ziel des Gesetzgebers war es u.a. die Gründung von Betriebsräten zu erleichtern. Zumindest die Möglichkeit Sitzungen in bestimmten Fällen als Video- oder Telefonkonferenz durchführen zu können, erleichtert die Arbeit der Wahlvorstände erheblich. Außerdem ist es nun aufgrund der Reduzierung der Anzahl der Stützunterschriften – zumindest in kleineren Betrieben – leichter, sich als Wahlbewerber zum Betriebsratsamt aufstellen zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass dies zu einer großen Anzahl von Kandidaten bei der Betriebsratswahl führt. Eine gute Wahlbeteiligung könnte durch die Absenkung der aktiven Wahlberechtigung von 18 auf nun 16 Jahren erzielt werden. Der Kreis der Wahlberechtigten wird hierdurch zumindest erweitert.

Es bleibt zu hoffen, dass die vom Gesetzgeber beabsichtigten Erleichterungen bei der Gründung eines Betriebsrats auch zu einer größeren Anzahl von Betriebsräten führen wird. Die Institution des Betriebsrats ist für die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer unerlässlich.

Wir wünschen für die anstehenden Wahlen viel Erfolg und helfen bei Fragestellungen rund um die Wahl gerne weiter.

Charlotte Roth, Düsseldorf

Charlotte Roth

Düsseldorf

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Betriebsräte

Bei Versetzung an einen 12 km entfernten Arbeitsort ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich

LAG Nürnberg vom 10.05.2021 – 1 TaBV 3/21

Arbeitgeber und Betriebsrat stritten darüber, ob der Betriebsrat eines gemeinsamen Betriebes bei einer Umsetzung von Mitarbeitern an einen 12 km entfernten Arbeitsort zuvor gem. § 99 BetrVG angehört werden muss.

Ja, entschied das LAG Nürnberg.

Sachverhalt:
Die Arbeitgeber, das Klinikum Nord und das Klinikum Süd, betreiben einen gemeinsamen Servicebetrieb. Dieser gemeinsame Betrieb der beiden Unternehmen hat einen 15-köpfigen Betriebsrat. Zwei Mitarbeiter im Bereich des Kranken- und Warentransports waren bislang im Klinikum Süd, ein Mitarbeiter im Klinikum Nord beschäftigt. Das Klinikum Nord und das Klinikum Süd liegen in derselben politischen Gemeinde, allerdings 12 km voneinander entfernt. Alle Mitarbeiter waren hauptsächlich mit Patiententransporten beschäftigt, im Klinikum Süd arbeiten sie in einem großen Gebäude, während sich im Klinikum Nord die Tätigkeit über mehrere Gebäude erstreckt. Für den Servicebetrieb werden für alle Beschäftigten beider Unternehmen – dem Klinikum Süd sowie dem Klinikum Nord – Rahmendienstpläne für drei Monate im Voraus erstellt. Der Mitarbeiter aus dem Klinikum Nord sollte drei Monate im Klinikum Süd und die Mitarbeiter aus dem Klinikum Süd im Klinikum Nord eingesetzt werden. Eine vorherige Beteiligung des Gemeinschaftsbetriebsrats nach § 99 BetrVG ist unterblieben.

Der Betriebsrat begehrte die Aufhebung der Maßnahmen wegen fehlender Zustimmung. Aus seiner Sicht lagen in der Zuweisung der jeweiligen anderen Arbeitsorte für eine längere Zeit als einen Monat Versetzungen i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG.

Das LAG Nürnberg ist dieser Auffassung gefolgt.

Entscheidung:
Eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn liegt bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist, vor. Mit Arbeitsbereich sind die Aufgaben und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes gemeint. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine andere anzusehen ist. Dies kann sich aus der Änderung des Arbeitsortes oder auch der Stellung des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit ergeben (BAG, 29.09.2020 – 1 ABR 21/19).

Ziel der Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG ist demnach, dass der Betriebsrat an jeder Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs beteiligt werden soll, soweit dadurch die Stellung eines Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation geändert wird.

Das LAG sah vorliegend keine relevante Änderung der Arbeitsaufgabe, da die Beschäftigten mit annähernd denselben Tätigkeiten betraut wurden – nur eben auf einem anderen Gelände. Auch wurden die Mitarbeiter nicht in einen anderen Arbeitsablauf integriert, so dass sich ein anderer Arbeitsbereich ergäbe, da der Servicebereich der beiden Kliniken übergreifend für beide Klinikum-Standorte organisiert ist.

Der zugewiesene Arbeitsbereich ändert sich allein durch die Zuweisung des anderen Arbeitsortes in 12 km Entfernung. Nach der Auffassung des LAG erhält dadurch die Tätigkeit ein anderes Gesamtgepräge und es liegt im Ergebnis eine zustimmungspflichtige Versetzung vor. Der Betriebsrat hätte hier folglich angehört werden müssen.

Die Entscheidung des LAG Nürnberg weicht insoweit von einer Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2006 ab. Das BAG hatte damals entschieden, dass keine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG vorliegt, wenn ein Betrieb oder eine Betriebsabteilung innerhalb einer politischen Gemeinde um wenige Kilometer verlagert wird, ohne dass sich die Tätigkeiten der Arbeitnehmer ändern. In dem damaligen Fall wurden wegen Umbaumaßnahmen ganze Abteilungen für mehrere Monate in ein 3 km entferntes Betriebsgebäude verlagert (vgl. BAG, Beschluss vom 27.06.2006 – 1 ABR 35/05).

Fazit:
Die Entscheidung des LAG Nürnberg ist zu begrüßen und im Ergebnis auch zutreffend. Es ist nicht nur darauf abzustellen, ob die Arbeitsleistung außerhalb der geographischen und politischen Gemeinde erbracht werden soll, sondern die tatsächliche Entfernung ist ausschlaggebend. Bislang wurde immer im Einzelfall geprüft, wie gut die Verkehrsverbindungen innerhalb der Gemeinde sind. Bei einem erheblich veränderten Anfahrtsweg durch schlechte Verkehrsverbindung, längere Wegezeit oder bei stärkerer physischer Belastung kam eine Versetzung durch Ortsveränderung auch innerhalb derselben Gemeinde in Betracht. Das LAG hat in seiner Entscheidung zwar geäußert, dass sich ein erheblich längerer Anfahrtsweg für die Mitarbeiter ergeben kann, ist aber hierauf nicht näher eingegangen, sondern hat die bloße Entfernung von 12 km für ausreichend gehalten, eine Versetzung anzunehmen. Auch die Tatsache, dass im vorliegenden Fall nur einzelne Mitarbeiter betroffen sind, während die Mehrzahl der Beschäftigten weiter am bisherigen Einsatzort eingesetzt werden, berechtigt zu einer Abweichung von der BAG-Entscheidung. Denn in dem Sonderfall, dass die gesamte betriebliche Einheit den Einsatzort wechselt, werden sich kaum Widerspruchsmöglichkeiten des Betriebsrats etwa nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG ergeben können.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, wann eine betriebsverfassungsrechtliche Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG vorliegt, wurde die Revision zum BAG zugelassen.

Simone Rohs, Düsseldorf

Simone Rohs

Düsseldorf

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Betriebsräte

Einordnung in eine neue tarifliche Vergütungsordnung ist Eingruppierung
BAG vom 20.10.2021 – ABR 14/20

Im Rahmen eines Rechtsstreits über die Beteiligung eines Betriebsrats bei der Anwendung einer neuen Vergütungsordnung stellte das Bundesarbeitsgericht letztinstanzlich klar, dass die – erstmalige oder erneute – Einreihung eines Arbeitnehmers in eine betriebliche Vergütungsordnung eine Eingruppierung i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darstellt. Eine Umgruppierung ist jede Änderung dieser Einreihung. Über eine solche muss der Arbeitgeber auch dann befinden, wenn sich bei gleichbleibender Tätigkeit die betriebliche Vergütungsordnung ändert und infolge dieser Änderung eine Entscheidung über eine „Neueingruppierung“ des Arbeitnehmers erforderlich wird. Für die Mitbestimmung des Betriebsrats und einen auf ihre Sicherung nach § 101 BetrVG gerichteten Antrag ist letztlich nicht ausschlaggebend, ob der vom Betriebsrat mitzubeurteilende gedankliche Akt des Arbeitgebers eine Eingruppierung oder eine Umgruppierung ist.


Beschäftigung über tarifliche Altersgrenzen hinaus ist Einstellung
BAG vom 22.09.2021 – 7 ABR 22/20

Das BAG entschied, dass die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über eine auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifliche Altersgrenze hinaus eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung darstellt. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung dient vornehmlich den Interessen der schon im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Im Hinblick auf diesen Schutzzweck kommt eine Einstellung nicht nur bei der erstmaligen Eingliederung eines Mitarbeiters in den Betrieb in Betracht. Die Interessen der bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sind auch berührt, wenn ein Arbeitnehmer über den zunächst vorgesehenen Zeitpunkt hinaus im Betrieb verbleibt.


Keine Mitbestimmung bei Vergütung gemäß Mindestlohngesetz
BAG vom 27.04.2021 – 1 ABR 21/20

Eine Arbeitgeberin zahlte in ein Vergütungsschema eingruppierten Beschäftigten ab Januar 2019 den ab dem 1. Januar 2019 erhöhten gesetzlichen Mindestlohn je Zeitstunde ohne Zustimmung des Betriebsrats.

Der Betriebsrat, der hier eine Verletzung seiner zwingenden Mitbestimmungsrechte sah, beantragte unter anderem im arbeits-gerichtlichen Beschlussverfahren festzustellen, dass die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt hat. Das BAG entschied, dass in der Vergütung bestimmter Arbeitnehmer(-gruppen) entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn ohne gleichzeitige Vergütungserhöhung andere Entgeltgruppen keine mitbestimmungspflichtige Änderung von mitbestimmt aufgestellten Entlohnungsgrundsätzen zu sehen ist. Bei der Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs besteht kein Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats.


Kein Folgenbeseitigungsanspruch bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts
BAG vom 23.03.2021 – 1 ABR 31/19

Im Rahmen einer Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hinsichtlich ggf. mitbestimmungswidriger Auswertung von E-Mails versuchte der Betriebsrat, die an eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft weitergegebenen E-Mails löschen zu lassen. Dabei stützte sich der Betriebsrat auf einen Beseitigungsanspruch. Dies blieb jedoch letztinstanzlich erfolglos.Verstößt der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, kann sich der Beseitigungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber darauf richten, dass die Anwendung der mitbestimmungswidrig im Betrieb eingeführten und genutzten technischen Überwachungseinrichtung unterbleibt und Folgen im Betrieb beseitigt werden. Dem Betriebsrat steht hingegen kein Anspruch darauf zu, dass der Arbeitgeber bei Dritten eine Löschung von personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer, die er mit Hilfe einer nicht mitbestimmt im Betrieb genutzten Überwachungseinrichtung erhoben und an Dritte weitergegeben hat, oder eine Vernichtung von solchen Daten auswertenden Dokumenten veranlasst.


Mitbestimmung ist unabhängig vom Willen der Belegschaft
BAG vom 28.07.2020 – 1 ABR 4/19

Arbeitgeberin und Betriebsrat schlossen eine Betriebsvereinbarung zu variablen Vergütungsbestandteilen. Diese sollte unter der Bedingung in Kraft treten, dass ihr „80 % der abgegebenen Stimmen“ der in ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist „einzelvertraglich“ schriftlich zustimmen. Das BAG entschied, dass die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft abhängig gemacht werden kann. Eine solche Regelung widerspricht den Strukturprinzipien der Betriebsverfassung. Danach ist der gewählte Betriebsrat Repräsentant der Belegschaft. Er wird als Organ der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft Amtes tätig und ist weder an Weisungen der Arbeitnehmer gebunden noch bedarf sein Handeln deren Zustimmung. Eine von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarung gilt kraft Gesetzes unmittelbar und zwingend.

Sebastian Kolb, Berlin

Sebastian Kolb

Berlin

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Arbeitnehmer

Kein Individualanspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM

BAG vom 07.09.2021 – 9 AZR 571/20

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) hat den Zweck, Möglichkeiten zu finden, durch die eine bestehende Arbeitsunfähigkeit überwunden und zukünftigen Arbeitsunfähigkeiten vorgebeugt werden kann. Das dient vor allem der Erhaltung des Arbeitsplatzes und somit der Existenzsicherung des Arbeitnehmers. Deshalb ist die Frage, ob der betroffene Arbeitnehmer einen Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM hat und diesen gerichtlich durchsetzen kann, für viele Arbeitnehmer von großer Bedeutung. Über diese Frage hatte das BAG zu entscheiden.


Sachverhalt:
Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 30 und ist schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Arbeitsverhältnis. Im Jahr 2018 war der Kläger an insgesamt 122 Arbeitstagen, im Jahr 2019 war er bis Ende August an insgesamt 86 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger verlangte von der Beklagten die Durchführung eines bEM. Die Beklagte lehnte dies ab.

Der Kläger erhob Klage beim Arbeitsgericht und beantragte sinngemäß, die Beklagte zu verurteilen, mit ihm ein bEM durchzuführen. Er war der Ansicht, er habe unmittelbar aus § 167 Abs. 2 SGB IX einen Anspruch auf Durchführung des bEM. Zumindest sei die Durchführung des bEM Teil des Gebots der Rücksichtnahme, das eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis darstelle.


Entscheidung:
Das BAG lehnte einen Anspruch des Klägers auf Einleitung und Durchführung des bEM ab. Es sah bereits keinen direkten Anspruch aus dem Gesetz. Die Obliegenheit des Arbeitgebers zur Durchführung eines bEM ergibt sich aus § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Diese Vorschrift legte das BAG aus, um festzustellen, ob der Gesetzgeber gleichzeitig auch einen Anspruch des Arbeitnehmers festlegen wollte. Bereits der Wortlaut der Vorschrift ergäbe laut BAG keinen direkten Anspruch des Arbeitnehmers. Nach § 167 Abs. 2 S. 7 SGB IX könnten die zuständige Interessenvertretung und Schwerbehindertenvertretung verlangen, dass der Arbeitgeber ein bEM durchführt. Außerdem würden die Interessenvertretung und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung gem. § 167 Abs. 2 S. 8 SGB IX darüber wachen, dass der Arbeitgeber seine Obliegenheit zur Durchführung eines bEM erfüllt. Folglich sei direkt im Gesetz geregelt, dass die Interessen- und Schwerbehindertenvertretung die Durchführung eines bEM verlangen könnten. Eine entsprechende Möglichkeit für den betroffenen Arbeitnehmer selbst fehle jedoch.

Es könne nach Auffassung des BAG auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber lediglich übersehen habe, eine solche entsprechende Berechtigung für Arbeitnehmer zu schaffen. Durch die klare Regelung, dass die Interessen- und Schwerbehindertenvertretung die Durchführung des bEM verlangen könnten, habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er die Möglichkeit einer Durchsetzung des bEM gesehen, sich aber bewusst gegen einen Anspruch des betroffenen Arbeitnehmers entschieden habe. 

Das BAG sieht die Ablehnung des Anspruchs des betroffenen Arbeitnehmers auch durch die Systematik des Gesetzes bestätigt. Das SGB IX unterscheide an anderen Stellen klar zwischen Pflichten des Arbeitgebers und Ansprüchen der Arbeitnehmer. Hätte der Gesetzgeber einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchsetzung einer bestimmten Pflicht des Arbeitgebers regeln wollen, hätte er diesen ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen. Da der Gesetzgeber bei der Regelung des bEM darauf verzichtet habe, einen Anspruch des Arbeitnehmers festzulegen, deute das darauf hin, dass dem Arbeitnehmer kein Anspruch auf Durchführung des bEM zustehen solle. Auch ein Verstoß gegen Unionsrecht der EU läge nicht vor, da dieses ein Verfahren zur Durchsetzung des bEM ebenfalls nicht regele, so das BAG.

Das BAG geht in seiner Entscheidung abschließend noch auf das bereits erwähnte Rücksichtnahmegebot ein. Auch daraus ergäbe sich nach Ansicht des BAG kein Anspruch auf Durchführung des bEM. Das BAG führt an, dass der Wille des Gesetzgebers, den Anspruch des Arbeitnehmers nicht zu regeln, aufgrund der oben dargestellten Auslegung abschließend in § 167 Abs. 2 SGB IX zum Ausdruck komme. Deshalb sieht das BAG keinen Raum, um einen Anspruch auf das Rücksichtnahmegebot zu stützen.

Bedeutung für Praxis:
Auch wenn der einzelne betroffene Arbeitnehmer nach dieser Entscheidung des BAG keinen unmittelbaren Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Einleitung und Durchführung des bEM hat, ist das bEM in der Praxis von großer Bedeutung, insbesondere wenn der Arbeitgeber wegen der Krankheit eine personenbedingte Kündigung ausspricht. 

§ 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber ein bEM anzubieten, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Auch wenn sich hieraus eine konkrete Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eins bEM ergibt, so fehlt eine gesetzliche Regelung zur Rechtsfolge bei Unterlassen (wie z.B. in § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Deshalb ist es ganz herrschende Meinung, dass die ordnungsgemäße Durchführung eines bEM-Verfahrens keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung darstellt. Allerdings führt ein Verstoß gegen die bEM-Pflicht zu einer schlechteren Position des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. So wird ein fehlendes bEM vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung in der Regel zu deren Unverhältnismäßigkeit führen. Würde man das bEM durchführen, könnten nämlich Maßnahmen gefunden werden, um künftige krankheitsbedingte Fehlzeiten auszuschließen oder zu verringern (BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Diese Maßnahmen können im Vergleich zur Kündigung mildere Mittel darstellen und die Kündigung unverhältnismäßig werden lassen.

In diesem Zusammenhang hat das BAG jüngst im Urteil vom 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 auch entschieden, dass der Arbeitgeber grundsätzlich ein erneutes bEM durchzuführen hat, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss des vorherigen bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig war.

Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des bEM, kann der Arbeitnehmer dieses zwar nicht gerichtlich erzwingen, er kann sich aber nach einer krankheitsbedingten Kündigung in einem möglichen Kündigungsschutzprozess auf die fehlende Durchführung des bEM berufen. Das hat zur Folge, dass der Arbeitgeber darlegen und beweisen muss, dass ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, zukünftige Arbeitsunfähigkeitszeiten zu verhindern und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Es zeigt sich also, dass – auch wenn der Arbeitnehmer keinen einklagbaren Individualanspruch auf dessen Durchführung hat – die Nichtdurchführung eines bEM in aller Regel zu Lasten des Arbeitgebers geht.

Christina Neumann, Düsseldorf

Christina Neumann, LL.M.

Düsseldorf

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Arbeitnehmer

Annahmeverzug des Arbeitgebers – zumutbare Einsatzmöglichkeiten
LAG Berlin-Brandenburg vom 03.12.2021 – 21 Ta 1158/21

Ein Arbeitgeber kommt bereits in Annahmeverzug mit der Rechtsfolge, dass er Vergütung zu zahlen hat, wenn es ihm möglich und zumutbar ist, einen gesundheitlich eingeschränkten Arbeitnehmer in dem diesem obliegenden Aufgabenbereich mit Tätigkeiten unter Berücksichtigung der Einschränkung zu betrauen und er den Arbeitnehmer nicht beschäftigt, gleichwohl dieser seine Arbeitsleistung angeboten hat. Ist dies nicht möglich, kann sich der Arbeitgeber auch schadensersatzpflichtig machen, regelmäßig in Höhe der Vergütung, wenn es ihm möglich und zumutbar ist, dem Arbeitnehmer einen anderen „leidensgerechten“ geeigneten Arbeitsplatz ggfs. nach entsprechender Umorganisation zuzuweisen und er dies unterlässt.

In beiden Fällen muss der Arbeitnehmer die in Betracht kommenden Einsatzmöglichkeiten aufzeigen. Darauf hat sich der Arbeitgeber dann einzulassen und substantiiert vorzutragen, weshalb diese Einsatzmöglichkeiten nicht bestehen oder warum diese Einsatzmöglichkeiten dem Arbeitgeber unzumutbar sind. Die Darlegungslast des Arbeitgebers verschärft sich, wenn er ein nach § 167 Abs. 2 SGB IX erforderliches betriebliches Eingliederungsmanagement unterlassen hat. Er hat dann von vornherein umfassend darzulegen, weshalb keine zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer, die Behauptungen des Arbeitgebers zu widerlegen.


Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern bei tariflichen Leistungen
LAG München vom 23.11.2021 – 6 Sa 534/21

Erbringt ein Arbeitgeber freiwillig tarifliche Leistungen an eine Gruppe von Arbeitnehmern – im vorliegenden Fall einen Zuschuss zum Krankengeld – muss er damit rechnen, dass Ansprüche bei vergleichbaren Arbeitnehmern entstehen, auch wenn im Arbeitsvertrag mit diesen vereinbart ist, dass auf das Vertragsverhältnis kein Tarifvertrag Anwendung findet. Der Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zum Krankengeld folgt aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als Ausprägung des Artikel 3 Abs. 1 GG. Dieser findet Anwendung, wenn ein Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmen, erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt und nicht nur in einzelnen Ausnahmefällen Leistungen erbringt.


Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung – Herabgruppierung
ArbG Hagen vom 23.11.2021 – 5 Ca 460/21

Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine aus dringenden betrieblichen Erfordernissen ausgesprochene Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Das Gebot der ausreichenden Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers gilt auch für die betriebsbedingte Änderungskündigung gem. § 2 Satz 1 KSchG. Anders als bei einer Beendigungskündigung ist bei der betriebsbedingten Änderungskündigung die Sozialauswahl jedoch nicht allein an der Prüfung auszurichten, welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern durch den Verlust des Arbeitsplatzes am wenigsten hart betroffen wird. Bei der ordentlichen Änderungskündigung steht die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebotes im Vordergrund. Es ist deshalb bei der sozialen Auswahl primär darauf abzustellen, wie sich die vorgeschlagene Vertragsänderung auf den sozialen Status vergleichbarer Arbeitnehmer auswirkt. Es ist vor allem zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderungen einem anderen vergleichbaren Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie in sozialer Hinsicht eher zumutbar gewesen wären.

Berufung eingelegt bei dem LAG Hamm unter dem Aktenzeichen 14 Sa 1467/21.

Jörn A. Broschat

Jörn A. Broschat

Oldenburg

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Veröffentlichungen

Peter Berg
DKW, Kommentar zum BetrVG mit Wahlordnung und EBR-Gesetz
Herausgeber: Däubler/Klebe/Wedde, Kommentierung § 2, §§ 42-46, §§ 74-77 und § 88
Bund Verlag 18. Auflage 2022

Jörn Broschat
BAG: Erstattungsfähigkeit von außerbetrieblichen Ermittlungskosten,
Mitautor: Gerrit Kuhlmann (Rechtsreferendar in Oldenburg)
in: BRuR 2022, 115 ff.

Dr. Sascha Lerch und Dr. Lars Weinbrenner
Einstellung von Mitarbeitern – Antworten für die Praxis,
Verlag Vahlen, 4. Auflage, München 2022

Ariane Mandalka
BAG: Mehrmaliges betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit
in: ArbRAktuell 2022, 99

ArbG Hamburg: Unwirksame Kündigung nach Verweigerung der Durchführung eines Corona-Schnelltests
in: ArbRAktuell, 2021, 695

Ariane Mandalka und Daniel Wall
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, Basiskommentar zum BEEG,
Mitautorin: Bettina Graue
Bund Verlag, 7. Auflage, Frankfurt 2022

Dr. Lars Weinbrenner
BAG: Verhinderung des Vorsitzenden und fehlerhafte Ladung zur Betriebsratssitzung
in: Betriebsrat und Recht 2022, 34

BAG: Fehlender Zugang der Einladung zum Vorstellungsgespräch
in: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2022, 16

Dr. Lars Weinbrenner und Katharina Warczinski
Vereinbarungen zur Abweichung von Fristen des Personalrats und Betriebsrats,
in: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2021, 246-249

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